Demokratie ist “die Herrschaft des Volkes”, im Gegensatz zur willkürlichen Herrschaft eines Einzelnen. Konkret heißt das, dass die politischen Entscheidungen durch den Mehrheitswillen der Bevölkerung gefällt werden und dann alle daran gebunden sind, auch solche, die mit der Entscheidung nicht einverstanden sind. Weil eine direkte Demokratie, also die Abstimmungen aller über alle Themen, schwierig zu organisieren ist, werden in unserer parlamentarischen Demokratie Abgeordnete gewählt, die dann die Entscheidungen treffen. Sie sind dabei nicht an irgendwelche Vorgaben gebunden, sondern einzig ihrem Gewissen verantwortlich.
Wer das verstanden hat, der versteht auch, wie manche Entscheidungen “gegen den Willen des Volkes” getroffen werden können. Das kann passieren, wenn eine Minderheit sehr laut und selbstbewusst ihre Meinung vertritt, die “schweigende Mehrheit” aber zwar anders denkt, aber sich nicht zu Wort meldet, weil es mühsam ist und Mut braucht, sich öffentlich zu artikulieren. Und es kommt auch vor, wenn die gewählten Abgeordneten über andere Informationen verfügen als die Bürger.
Beides war bei der Entscheidung über die Unterkunft für Geflüchtete und Obdachlose in Belsen der Fall. Eine solche Einrichtung irritiert zumeist vor allem die in der näheren Umgebung Lebenden, während weiter entfernt Wohnende eher bereit sind, Notwendigkeiten und objektiv bestehende Vorteile eines potentiellen Standortes zu sehen. Die Entscheidung für die Unterkunft in Belsen war vermutlich für viele, die in der Kernstadt, aber auch in Talheim, Öschingen und Bästenhardt leben, kein Problem, so dass sie wahrscheinlich dem Willen der Mehrheit der Einwohner der Gesamtstadt entspricht. Schon von daher kann sie nicht “undemokratisch” sein, wie es uns vorgeworfen worden ist.
Gleichzeitig kennen die gewählten Gemeinderäte die Hintergründe. Sie sehen nicht nur die aktuellen Zahlen der hier bereits Untergebrachten, sondern wissen auch um die ungefähre Zahl der noch zu Erwartenden. Das konnten interessierte Bürger zwar alles ebenfalls aus öffentlichen Quellen erfahren, sind aber im Gegensatz zu den Abgeordneten nicht in der Verantwortung gegenüber der gesamten Gesellschaft uns können das vertreten, was ihrem eigenen Vorteil dient. Das dürfen wir Gemeinderäte gar nicht.
Betroffene haben oft auch das Gefühl, erst informiert zu werden, wenn längst alle Entscheidungen getroffen sind. So hätten die Anwohner in der Brühlstraße gerne früher erfahren, was geplant war. Aber dazu muss ja erst etwas geplant sein - auf die vage Ankündigung hin, dass für diesen Ort wie für einige andere geprüft wird, ob dort eine solche Unterkunft realisiert werden könnte, kann ja niemand fundiert reagieren. Voruntersuchungen müssen erst klären, ob die grundlegenden Voraussetzungen hinsichtlich Hochwasser, Naturschutz, Verkehr, baurechtlichen Vorgaben etc vorliegen. Und es macht erst Sinn, die Anwohner zu informieren, wenn ihnen auch gesagt werden kann, was denn gebaut werden soll. Wie groß, wie hoch, und wo genau.
Eine solche Informationsveranstaltung der Stadtverwaltung mit den Anwohnern und auch Vor-Ort-Termine der Gemeinderäte und das persönliche Gespräch mit Betroffenen dienen dann dem Austausch, und dort geäußerte Wünsche und Anregungen gehen in die weitere Planung ein. Im Idealfall entsteht so ein Projekt, bei dem zwischen den ursprünglichen Zielen der Stadtverwaltung und denen der betroffenen Anwohner ein Kompromiss gefunden wird, mit dem beide Seiten leben können.
Was prinzipiell bei solchen Planungen nicht akzeptiert werden kann, ist Fundamentalopposition und Eigennutz. Denn angesichts der Notwendigkeit, zugewiesene Menschen unterzubringen, heißt eine Verkleinerung oder gar ein Verzicht auf einen möglichen Standort immer automatisch, dass anderswo größer gebaut werden muss. Denn ein erfolgreicher Protest oder die Entdeckung eines Juchtenkäfers an einem möglichen Standort ändert ja nichts an der Notwendigkeit, eine vorgegebene Anzahl an Unterkünften zu schaffen.
Was ebenfall nicht weiter hilft, ist, wenn einzelne Bürger oder auch Gemeinderäte, die alle Gegebenheiten kennen, unter dem Druck der Proteste plötzlich alternative Ideen aus dem Hut zaubern, die für sich gesehen charmant klingen, im Hinblick auf das Grundproblem aber nicht weiter helfen. Hier müssen wir uns alle zügeln, um nicht aus populistischen Impulsen Hoffnungen zu wecken, die angesichts der Notwendigkeiten dann doch wieder enttäuscht werden müssen.
Was dagegen weiterhelfen könnte, sind Angebote privater Wohnungsbesitzer, leerstehenden oder frei werdenden Wohnraum der Stadt für die Unterbringung Geflüchteter anzubieten. Denn hätte die Stadt ausreichend solcher Angebote, könnte einerseits eine Verteilung der Menschen in möglichst kleinen Gruppen über die gesamte Fläche der Stadt erreicht werden, was nachgewiesenermaßen einer raschen Integration förderlich wäre. Andererseits könnte eventuell auch auf ein teures Neubauprojekt verzichtet werden. Da läge es dann an der Stadt, gegebenenfalls auch aktuelle Standards der Unterbringung zu hinterfragen.
In den kommenden Wochen und Monaten laufen die Vorbereitungen für die Gemeinderatswahlen in 2024. Alle, die mit diesen Prinzipien der repräsentativen Demokratie einverstanden sind und Interesse haben, sich in Zukunft an solchen Entscheidungsprozessen stärker zu beteiligen, haben jetzt die Möglichkeit, sich für die Neuwahl des Gemeinderates aufstellen zu lassen. Sprechen Sie uns an!